Bericht: Simon Scheidegger, Sportlerin
Eine Aufsichtsperson steuert gemächlich eine Putzmaschine zwischen den runden Holztischen und den schwarzen Stühlen durch, und hinter der Kasse wischt eine Frau ein paar Staubkörner vom Tresen. Es ist ruhig an diesem Donnerstagvormittag im August. Die Mitarbeitenden in der Schwimmhalle Neufeld beschäftigen sich mit Unterhaltsarbeiten, und unten im grossen Becken ziehen nur zwei Menschen einsam ihre Bahnen und wühlen dadurch das ansonsten spiegelglatte Wasser auf. Nora Meister holt sich ein Glas Wasser und setzt sich an einen der Tische. Natürlich ist sie da, schliesslich steht schon bald ein Training an.
«Schwimmen gehört einfach zu mir», sagt sie und beisst in einen Energieriegel. Sie mag es, über mehrere Kilometer hin- und herzuschwimmen. Sie mag die Leichtigkeit, die das Wasser den menschlichen Körpern verleiht. Und sie mag es, sich immer wieder an die Leistungsgrenze zu bringen und diese dadurch zu verschieben. Wie bei den Paralympics 2024 in Paris, als sie mit dem klaren Ziel antritt, eine Medaille zu gewinnen.
Über 400 m Crawl schlägt Meister in der La Defense Arena von Beginn an ein hohes Tempo an, und am Ende muss sie sich nur der überlegenen chinesischen Weltrekordhalterin Yuyan Jiang geschlagen geben. Diese Silbermedaille ist nicht nur der grösste Erfolg ihrer Karriere, sondern auch eine eindrückliehe Steigerung im Vergleich zu 2021, als Meister in Tokio in ihrer Lieblingsdisziplin zu Bronze geschwommen war und sich damit einen Kindheitsträum erfüllt hatte. Über diese Distanz vermag Meister ihre Stärken am besten auszuspielen. Sie kann nämlich den Beinschlag nicht einsetzen und muss sich entsprechend auf ihre Armzüge verlassen. Beim Start und bei den Wenden büsst sie so gegenüber Konkurrentinnen, die ihre Beine zum Antrieb benutzen können, etwas Zeit ein.
Deshalb schwimmt sie lieber längere Distanzen, auf denen sie diese Nachteile eher ausgleichen kann. «Ich war schon immer ein Ausdauermensch», sagt Meister, die nicht primär mit dem Gedanken mit dem Schwimmen begann, sich dann wettkampfmässig mit anderen zu messen, sondern weil sie Freude daran hatte, sich im Wasser zu bewegen. Mehrere Weltrekorde Erst, als sie bei Schweizer Meisterschäften ihre erste Medaille einheimst, merkt Meister, dass sich Spass und Erfolg kombinieren lassen könnten. Und als sie 2018 als 15-Jährige in Dublin ihre ersten EM-Titel über 100 m Rücken und 400 m Crawl holt, ist sie endgültig auch auf der internationalen Bühne angekommen. Im darauffolgenden Jahr schwimmt sie in Berlin über 200 m Rücken erstmals Weltrekord.
Auch über 400 m und 800 m Crawl gibt es in ihrer Kategorie S6 global zumindest phasenweise keine schnellere Schwimmerin als Nora Meister, wobei ihre Bestmarke über 400 m an den Paralympics in Tokio von der Chinesin Yuyan Jiang um rund acht Sekunden unterboten wurde. Insgesamt hat die Lenzburgerin bisher sieben EM-Titel und sechs WM-Medaillen gesammelt. Im April vor einem Jahr, an den letzten kontinentalen Meisterschaften im portugiesischen Funchal, gewinnt Meister die Crawl-Wettbewerbe über 50, 100 und 400 m. Zudem schwimmt sie über 100 m Rücken zu Silber. Es sind neben ihren beiden Paralympics-Medaillen weitere Belege dafür, dass aus dem Mädchen, das als Achtjährige mit dem Schwimmen anfing und zwei Jahre später dem Schwimmclub Aarefisch in Suhr beitrat, eine schnelle Frau geworden ist, die sich in der Para-Schwimmszene einen Namen gemacht hat.
«Es ist schon nicht so, dass alle überrascht waren, dass ich in Tokio Bronze gewonnen habe», sagt Meister. «Es ist eine stete Entwicklung.» Jedes Training, jeden Wettkampf, jede Medaille, sieht sie als einen wichtigen Schritt dafür, dass sie als Schwimmerin jetzt da ist, wo sie ist. Polysportive Pause Wer die 22-Jährige über ihre Leidenschäft reden hört, kann sich vorstellen, dass es eine Zeit gegeben hat, in der die Aargauerin Abstand nehmen musste vom Schwimmen, vom Trainieren, vom konstanten Leistungsdruck. Doch im September 2024 legt Meister nach den Paralympics eine Pause ein.
Der ganze Artikel im neuen Sportlerin Magazin: Sportlerin, das Schweizer Magazin für den Frauensport
Bild: Weny Tang
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