Bericht: Jule Seifert
Titelbild: Boris Bürgisser
Das Einfädeln will jede Slalomfahrer:in unbedingt vermeiden, für Nachwuchsathlet Marc Bleiker wäre es trotzdem ein Grund zur Freude. Denn dann hätte er die direkteste Linie gewählt. Die Slalomstangen sieht der 21-Jährige Appenzeller erst, wenn sie direkt vor seinen Ski auftauchen, ein Riesenslalomtor aus fünf Meter Entfernung. Seine Sehkraft beträgt 2 und 3 Prozent. Fährt Bleiker Ski, sieht er nicht, ob es Schläge auf der Piste hat oder wie steil es nach unten geht.
Dafür hat er seinen Guide Benjamin Tresch aus Uri. «Parat machen, Hopp für die Einleitung und Links oder Rechts, um die Kurve zu fahren», das sind die Kommandos, die Bleiker über Funk bekommt und mit «Gut» bestätigt. Um beim Para-FIS-Rennen in Sörenberg durch den Stangenwald ins Ziel zu finden, müssen Guide und Athlet ein gut eingespieltes Team sein. Jeder Sehbeeinträchtigte sei anders, aber auch die Guides seien unterschiedliche Typen, erklärt Bleiker. «Das Wichtigste ist, dass ein Grundvertrauen da ist.» Eine halbe Saison hat es gebraucht, bis bei den Beiden das Timing stimmte. In ihrer zweiten gemeinsamen Saison verbuchten sie schon einige Podestplätze im Europacup und Siege in den FISRennen. Am Samstag in Sörenberg wird Bleiker Zweiter.
Freundschaft zwischen Athlet und Guide
Sie hätten ein freundschaftliches Verhältnis, erzählt Tresch. Da kann es auch mal vorkommen, dass der Guide seinen Athleten mit Schnee vollspritzt. Gibt es denn auch mal Beschwerden, wenn es nicht so gut läuft beim Rennen? «Es gibt sicher manchmal Diskussionspunkte», sagt der 33-jährige Guide. Oder Situationen, wo er bremst und Bleiker in ihn hineinfährt.
Tresch ist seit zehn Jahren als Guide bei PluSport, dem Verband für Para-Athlet:innen und Breitensportler:innen, aktiv. Das Wichtigste sei, Vertrauen in das eigene Fahrkönnen zu haben, sagt er. Brenzlig kann es werden, wenn er sich nach seinem Athleten umdreht. Dann sind die Ski entlastet und die Gefahr eines Sturzes entsteht. Das sei während eines Rennens jedoch noch nie passiert, bestätigt Bleiker.
Viele Rennen mussten in diesem Winter wegen Schneemangel oder schlechtem Wetter abgesagt werden, deshalb war es für das Schweizer Nachwuchsteam wichtig, dass der Wettkampf in Sörenberg stattfinden konnte, um Punkte für den Europacup zu sammeln. Nur noch wenige fehlen Monoskibobfahrer Vince Moens im Riesenslalom, einige mehr sind es im Slalom. «Slalom ist mental und physisch sehr anstrengend», sagt er vor dem zweiten Lauf. «Man muss konstant schaffen.» Seit einem Jahr fährt der 34-Jährige Rennen. Seine Ziele sind klar: Er will an Weltcup-Rennen und den Paralympics teilnehmen.
Bremskurven bei Monoskibobfahrer Moens
Vor seinem Unfall sei er viel Ski und Snowboard gefahren, erzählt Moens. «In der Reha sagten sie, ich könne frühestens nach drei Monaten mit dem Ski fahren anfangen. Nach drei Monaten und einem Tag war ich auf der Piste.» In Sörenberg sammelt er weitere Rennerfahrung. «Ich bin schnell und aggressiv gefahren», sagt Moens. «Leider musste ich wegen meiner mangelnden Erfahrung einige Bremskurven einlegen.»
Für den Vorfahrer Eskil Hermann aus Ennetbürgen ist der Skirennsport nur die zweite Wahl. Ambitionen hat er mit dem Rennrollstuhl im Sommer. Er will auf den Mittel- und Sprintdistanzen erfolgreich sein. «Skifahren ist eine gute Abwechslung», sagt der 17-Jährige. In diesem Winter trainierte er schon öfters auf dem Stützpunkt in Sörenberg. Beim FIS-Rennen auf dem Brienzer Rothorn sind neun Schweizer Athlet:innen am Start, die in den drei Kategorien Sehbeeinträchtigung, Sitzend und Stehend starten. Insgesamt sind es am Samstag 17 Teilnehmende aus sechs Nationen. «Das Para-Rennen läuft ab wie ein FIS Rennen, nur dass die Zeit bei jedem etwas unterschiedlich läuft», sagt Pascal Achermann aus Sörenberg, der Schweizer Nachwuchscheftrainer. «Für eine gerechte Rangliste.»
Am Start ist Assistenztrainer Peter Emmenegger. Er schaut zum Material, präpariert die Ski und gibt Feedbacks und mentale Unterstützung. «Manchmal muss man einfach nur zuhören, was sie für ein Gefühl hatten», sagt Emmenegger. Die Philosophie sei sowieso, «dass die Gesundheit das Wichtigste ist und wir möglichst wenig Verletzungen haben». Das gelingt auch am Samstag, alle sind unverletzt ins Ziel gekommen.
Das Rennen vom Sonntag musste dann leider abgesagt werden. Starke Windböen verhinderten eine Inbetriebnahme der Anlagen auf über 2000 Metern. Ein grosser Dank geht an den Skiclub Sörenberg und den Bergbahnen Sörenberg für die grossartige Unterstützung.
Zum Artikel in der Luzerner Zeitung: Blindes Vertrauen im Stangenwald