Tête-à-tête
Die ETH und Sport passen zusammen
Dr. Peter Wolf, ETH Zürich Sensory-Motor Systems Lab, stellvertretender Leiter und wissenschaftlicher Koordinator, über die Inklusionsmöglichkeiten im Sport durch Rehabilitationstechnik.
Welche Bedeutung hat der Para-Sport für dich?
Sport ist für mich ein wunderbares Gefäss, um seinen Körper zu spüren und um mit anderen Menschen zu interagieren. Sport schafft neue Begegnungen, Erfahrungen, Vertrauen, Zusammenhalt. Dies sollten alle Menschen erleben können. Der Para-Sport erweitert in gewisser Weise das Spektrum des Sports und ermöglicht Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen, teilzuhaben – und auch Anerkennung zu gewinnen.
Seit wann und wie unterstützt euer Labor den Para-Sport mittels Rehabilitationstechnik?
Unser Fokus richtet sich auf die Entwicklungen technischer Systeme, welche körperliche Einschränkungen rehabilitieren bzw. im Alltag vergessen machen. Wir untersuchen sportliche Aktivtäten schon länger, da die Komplexität des Bewegungslernens im Sport vergleichbar ist zu der in der Rehabilitation – aber der logistische Aufwand von Studien wesentlich geringer ist, insbesondre die Verfügbarkeit von Teilnehmenden. Daneben haben wir vor 10 Jahren den CYBATHLON initiiert: das Charakteristikum Wettkampf wird da als Mittel eingesetzt, um die Entwicklung technischer Assistenzsysteme zu fördern. Im Parasport selbst wurden wir vor den olympischen Spielen 2020 aktiv, um in einem Projekt unter Leitung von Orthotec den Rennrollstuhl von Marcel Hug zu optimieren – mit dem zusätzlichen Ziel, dass Ansätze zur Optimierung der Sitzposition (unserem Teilprojekt) auch für andere Rollstuhlfahrer nutzbar werden (was auch gelang). Vor zwei Jahren kam über Umwege die Anfrage an uns, ob wir für (und mit) Flurina Rigling ihren Fahrrad-Lenker verbessern können. Luca Hasler hat dann in seiner Masterarbeit die Auflagefläche für ihre Hände individualisiert, so dass sie nun in Strassenrennen sicherer und komfortabler unterwegs ist. Das von ihm entwickelte Verfahren, individuelle Anpassungen schnell wieder testen und wieder modifizieren zu können, haben wir dann wiederum in einem Folgeprojekt angewendet – Elia Tommasi hat in seiner Bachelorarbeit dann eine Lösung für Flurina entwickelt, die ihr das Ziehen am Lenker für kurzeitiges Beschleunigen ermöglicht.
Was bedeuten dir die Erfolge von Flurina Rigling?
Mich freut es ungemein, dass sie ihre Leistung abrufen konnte und sich für ihren Einsatz belohnt – und sie dabei die Entwicklungen der Studenten nutzt. Dazu hat sie aber wesentlich beigetragen, da sie sich die Zeit für den Austausch und die Tests genommen hat und dabei immer wieder Input gab.
Wo siehst du Parallelen zwischen der ETH und dem Para-Sport?
Es braucht jeweils ein Umfeld, das ermöglicht, das Beste aus sich herauszuholen. An beiden Orten braucht es aber auch einen grossen eigenen Antrieb, um immer wieder nach innovativen Lösungen zu suchen, um mit Rückschlägen umzugehen und hartnäckig vielfältige Herausforderungen anzugehen. Ist dieses Umfeld gegeben – und dieses sicherzustellen ist eigentlich meine Hauptaufgabe an unserem Labor – dann haben sowohl Forschende als auch Sportler:innen das grosse Privileg, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Damit begeistern sie auch andere, wie Grenzen des Möglichen erweitert werden können, sei es durch Forschung und Entwicklung oder sportliche Höchstleistungen.
Wo siehst Du weitere Zusammenarbeits-Möglichkeiten zwischen der ETH und PluSport?
Der Parasport bietet aus meiner Sicht noch sehr viel Potential, Entwicklungsarbeiten zur Optimierung der individuellen Interaktion mit dem jeweiligen Sportgerät anzugehen, da das Regelwerk mehr Spielraum gibt als bei Regelsportlern. Und auch Trainingsmethoden sind wesentlich weniger erforscht bzw. deren biomechanische und physiologische Grundlage. Wie ist zum Beispiel das Training der Oberschenkelmuskulatur anzupassen, wenn mit einer Beinprothese gesprintet wird? Oder wie kann ich ein beeinträchtigtes Bein dennoch im Klettern ausnutzen? Solche grundlegenden Fragen sind insbesondere dann für Studierende – deren Abschlussarbeiten eben ein hervorragendes Gefäss für eine Zusammenarbeit sind, nebst Hackathons, wie sie schon Einzug in einzelne Studiengänge gefunden haben – spannend, wenn die Antwort jemanden einem Ziel näherbringt, sei es, um den Alltag zu meistern, um an einer Sportart teilzuhaben oder um Medaillen mitmischen zu können. Wichtig erscheint mir dabei, dass sich Forschende und Sportler die Zeit nehmen, ein Verständnis füreinander zu entwickeln und ein gemeinsames Ziel zu definieren. Auch wenn wir rasche Entwicklungsschritte umgesetzt haben, so brauchen Entwicklungen Zeit – genauso wie gesicherte Erkenntnisse zum Beispiel zu Trainingsmassnahmen samt Vorbereitung angemessener Untersuchungsmethoden. Eventuell ist dadurch der Nachwuchs- oder Breitensportbereich noch prädestinierter für eine Zusammenarbeit zwischen ETH und PluSport als der Spitzensport, obschon eben die Zusammenarbeit mit Flurina Rigling zeigt, dass auch dies möglich ist.
Hast Du eine Vision im Sinne der Inklusionsbestrebungen?
Meine Vision wäre eine Welt, in der alle uneingeschränkt am Sport teilhaben können, ohne auf Barrieren zu stossen. Technologien und Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass sie einen Zugang zum Sport ermöglichen. Ein entscheidendes Vehikel sehe ich in der medialen Präsenz des Para-Sports – um diese weiter auszubauen braucht es für mich jedoch ein Überdenken der gegenwärtigen Ausprägung des Para-Sports in Bezug auf das intuitive Verständnis für die erbrachte Leistung.
Was wünscht Du Dir vom Behindertensport in der Schweiz?
Ich wünsche mir, dass jüngste Anstrengungen Para-Athlet:innen in Meisterschaftsprogramme zu integrieren – ich durfte dies hautnah bei der Kletter-WM in Bern 2023, der Kletter-EM in Villars 2024 und an der Rad-WM in Zürich 2024 erleben – fortgeführt und optimiert werden. Dies wird wesentlich dazu beitragen, das Bewusstsein der Gesellschaft für die Leistungen der Para-Athlet:innen zu schärfen.
PluSport ist Kompetenzpartner des ETH-Masterstudiengangs für Inklusion und Rehabilitation und bringt praxisorientierte Einblicke ein. Die Schwerpunkte liegen auf Sensibilisierung für Inklusion im Sport und der Bereitstellung von Praktika für praxisnahe Erfahrungen. Studierende können etwa als Alltags-Guides für Menschen mit Beeinträchtigungen fungieren oder an Sportlektionen und Camps teilnehmen. Diese Zusammenarbeit fördert den Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis, stärkt die Kompetenzen der Teilnehmenden und entwickelt Inklusions- und Rehabilitationsansätze weiter.
ETH, PluSport und Cybathlon
Das einzigartige Non-Profit-Projekt der ETH Zürich ging weiter! Ende Oktober fand die dritte Ausgabe des Cybathlon in einem globalen Format in der Swiss Arena in Kloten und in lokalen Hubs auf der ganzen Welt statt. In einem exklusiven Wettkampf traten 76 internationale Teams aus Akademie und Industrie an. Unter anderen Disziplinen war ein Rennen mit intelligenten Sehassistenztechnologien, an dem unser Botschafter und ehemaliger Para-Athlet Lukas Hendry mit dem 3. Platz einen neuen Erfolg feiern durfte. Um die Bedeutung von Barrierefreiheit und Selbstständigkeit im Alltag einem breiten Publikum näherzubringen, gestaltete PluSport als Kompetenzpartner Inklusion das Rahmenprogramm mit. Im Village, im Senso-Parcours und als direkte Ansprechpartner sensibilisierten unsere Botschafter:innen für das Thema Gleichstellung und Vielfalt.