Tête-à-tête

Laurent Prince im Gespräch mit PluSport

Der Zentralschweizer aus Obernau mit Wurzeln in der Französisch sprechenden Schweiz ist seit 1. August 2020 Geschäftsführer der Schweizer Paraplegiker Vereinigung (SPV).

Wie haben Sie sich in Ihre neue Funktion eingelebt?
«Ich glaube sehr gut. Ich wurde in Nottwil enorm wohlwollend empfangen. Auch die Zusammenarbeit mit unseren Partnern, den Mitarbeitenden, aber auch den anderen Behindertensport- Organisationen erlebe ich sehr positiv.»

Wo werden Sie die Hebel ansetzen?
«Schaut man von aussen auf den Behindertensport, sieht man die Komplexität nicht wirklich. Bewegt man sich dann in seinem Umfeld, erkennt und erlebt man die verschiedenen Interessen über den Sport hinaus. Wir alle haben viel gemeinsam. Viel mehr, als uns trennt. Gerade mit PluSport verbindet uns sehr viel. Wir Mitgliederverbände von Swiss Paralympic sind gut aufgestellt und ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam einen wichtigen Beitrag für die Inklusion leisten und einiges in Bewegung setzen. Mit guten Projekten, mit einer einheitlichen Stossrichtung und mit koordinierten Ideen soll es uns gelingen, den Behindertensport in der Schweiz weiterzuentwickeln. Das Ziel muss sein, unsere zentralen Anliegen konsequent anzugehen.»

Gibt es ein konkretes Projekt oder Ziel?
«Inklusion im Sport darf nicht nur Aufgabe der Behindertenorganisationen sein. Wir würden es begrüssen, wenn Swiss Olympic eine Fachstelle schafft. Eine solche würde die mehr als 80 Mitgliederverbänden unterstützen, wenn diese Anfragen nach inklusiven Sportangeboten erhalten. Das kann etwa der Wunsch nach Schwimmtrainings für Seh- oder Körperbehinderte beim Schwimmsportverband sein. Es gibt viele solcher Projektanfragen, viel Wissen, aber auch viel Überforderung. Die Fachstelle mit Spezialisten würde diese Anfragen beantworten und die Koordination von Projekten übernehmen. Gemeinsam könnten wir stärker auftreten und kompetenter auf Bedürfnisse eingehen.
Ein anderes Thema ist die Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention. Wie setzt man diese um, wer macht was? Auch hier liesse sich Wissen bündeln und Lösungen finden, von denen alle profitieren. Man vergisst manchmal, dass die SPV nicht ausschliesslich ein Sportverband ist. Wir bieten Freizeit-, Reise- und Kulturangebote an, wir unterstützen unsere Mitglieder bei baulichen, rechtlichen und sozialen Fragen und haben Fachpersonen mit umfassendem Know-how, das wir in eine übergreifende Fachstelle einbringen könnten.»

Gab es Herausforderungen, mit denen Sie gerechnet oder auch nicht gerechnet haben? 
«Aktuell beschäftigt uns das Thema Verbandsentwicklung stark, was mich nicht überrascht. Wir haben 27 Clubs in der ganzen Schweiz und 11'000 Mitglieder. Trotz voranschreitender gesellschaftlicher Individualisierung haben auch 2021 Clubstrukturen eine grosse Bedeutung und Berechtigung. Vereinsarbeit wird immer wieder totgesagt und auch wir sehen, dass verschiedene Clubs Mühe habe, z.B. bei der Suche nach Vorstandsmitgliedern. Der Wunsch, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, bleibt aber bestehen. Deshalb möchten wir künftig unsere Rollstuhlclubs noch stärker unterstützen.
Überrascht hat mich hingegen die Tatsache, dass das gesellschaftliche Leben für Menschen mit einer Körperbehinderung immer noch recht stark eingeschränkt ist. Gewisse Hürden waren mir nicht bewusst. Auch in dieser Thematik setzt sich die SPV aktiv für Verbesserungen ein.»

Worauf setzen Sie den Fokus in Ihrer Tätigkeit?
«Wir möchten unsere Mitglieder in Zukunft noch direkter ansprechen. Im vergangenen Jahr erhielten 500 Mitglieder eine juristische Beratung, unsere Sozialarbeitenden und  Berater:innen leisteten fast 900 Interventionen und  unsere Architekt:innen waren bei 300 Umbauten involviert. Mit diesen Leistungen erreichen wir viele Menschen direkt und steigern ihre Lebensqualität. Die Beratung ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir bieten aber auch Reisen an und Entlastungswochen für Familienangehörige. Selbst während der Pandemie haben wir alles darangesetzt, diese Angebote aufrecht zu erhalten»

PluSport und SPV sind langjährige Partner – wo setzen Sie in dieser Verbindung den Schwerpunkt?
«Wir haben viele Berührungspunkte. Ein wichtiger ist sicher, dass wir gemeinsam Stifter von Swiss Paralympic sind und abwechselnd das Präsidium innehaben und die Delegationen an Titelwettkämpfen leiten. Schön ist auch, dass wir bei verschiedenen Sportarten eng zusammenarbeiten wie etwa im Ski Alpin. Der Austausch klappt auf allen Ebenen.»

Was wünschen Sie sich noch in der Zusammenarbeit mit PluSport?
«Ich schätze es sehr, dass wir bei Swiss Paralympic die gemeinsamen Interessen immer wieder über diejenigen des Verbandes setzen. Beide Verbände zeigen den Willen, das Beste für alle Athlet:innen zu schaffen. Wenn wir künftig gemeinsam unsere Sportler:innen auf allen Ebenen noch besser unterstützen und Synergien nutzen, dann bringt das Mehrwert für alle. Daran arbeiten wir.»

Wie haben Sie die Paralympischen Spiele in Tokio erlebt?
«Es war eine Zeit mit kürzeren Nächten als gewohnt. Das Rennen von Heinz Frei war einer meiner Höhepunkte. Mit 63 Jahren eine Silbermedaille zu gewinnen… das ist unfassbar! Gemeinsam stand ich mit vielen Mitarbeitenden vor dem Fernseher in unserem Pausenraum in Nottwil und habe mitgefiebert. Die Freude über jede einzelne Medaille, über jedes Diplom war riesig. Die gezeigten Leistungen haben bei uns allen viele positive Emotionen ausgelöst. Sie beweisen zudem den Stellenwert des Leistungssports bei der SPV. Ich bin überzeugt, dass sich der Nachwuchs davon inspirieren lassen wird. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass der Sport auch ein Türöffner für die Inklusion in vielen anderen Belangen ist.»

Was bedeutet für Sie Integration/Inklusion, was verstehen Sie darunter?
«Eine inklusive Gesellschaft stellt sicher, dass jeder Mensch in allen Belangen integriert ist, sei es in der Schule, bei der Arbeit, in der Freizeit und so weiter. Im Gegensatz dazu geht das Konzept der Integration noch immer von einem Zweiklassensystem aus, denn es basiert darauf, dass etwas, das nicht der Norm entspricht, aufgenommen wird. Das Konzept der Inklusion geht von der Einzigartigkeit jedes Menschen aus und sieht Vielfalt als Chance. Das heisst, jeder Mensch wird in seiner Individualität akzeptiert und als Bereicherung der Gesellschaft wahrgenommen.»

 

PluSport Behindertensport Schweiz und die Schweizerische Paraplegikervereinigung sind zusammen Stifter des Swiss Paralympic Committee