Emsiges Treiben herrscht auf dem Parkplatz der Talstation Linthal Braunwaldbahn. Skis und Snowboards werden entladen, Skischuhe angezogen, ein Hund freut sich bellend auf den Spaziergang und dazwischen ertönt Kinderlachen. Alle wollen an die Sonne an diesem prächtigen Wintersonntag und besteigen die Standseilbahn, die in sieben Minuten 600 Höhenmeter überwindet. Die kurze aber imposante Fahrt vorbei an steilen Felsen führt ins autofreie Braunwald, welches die Gäste mit einem fantastischen Panorama empfängt.
Unter den Reisenden befinden sich zwei Familien auf dem Weg zum Einsteigerskikurs für Kinder mit einer Behinderung, welcher von PluSport organisiert wird. Jonas Schneebeli ist 11 Jahre alt und wird von seiner Mutter Ursula Schneebeli begleitet, Anik ist erst Sieben und kommt zusammen mit seinen Eltern Rilindja und Avni Abdija. Beide Buben wollen Skifahren lernen.
Tom Schnyder, Schneesportlehrer und Kursleiter bei PluSport und seine Assistentin, empfangen die kleine Gruppe. Der Kinderhang bietet alles was es zu Beginn braucht und die Eltern können ihre Schützlinge beim Training beobachten. Ein Kiosk und aufgestellte Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein.
Ursula Schneebeli ist über ein Partnerangebot von PluSport auf diesen Skikurs für Kinder mit Behinderung aufmerksam geworden. «Dieses Angebot ist Goldwert und wir sind absolut überzeugt davon», sagt sie sofort und meint, dass sie den Anfahrtsweg gerne in Kauf nimmt. Jonas hat eine cerebrale Bewegungsstörung ausgelöst durch eine Virusinfektion während der Schwangerschaft. Er trägt Beinorthesen und auch die Hände sind betroffen, vor allem die linke Seite. Dies zeigt sich auch am Schriftbild, welches nicht dem von Gleichaltrigen entspricht. Er besucht die Regelklasse und wird von einer Heilpädagogin unterstützt. Jonas braucht für alles mehr Zeit. «Er ist aber sehr gut integriert und hat viele Freunde», sagt die Mutter. Trotzdem ist es nicht immer einfach für ihn, wenn seine Freunde Fussball spielen und er auf der Ersatzbank sitzen bleibt. Und doch ist er für viele ein Vorbild, weil er sich nie beklagt und sein Schicksal akzeptiert. Aufgeben ist aber nicht seine Art und er hat ein ganz grosses Ziel: «Ich möchte mit meinen Klassenkameraden ins Skilager und das ohne Mami.».
Der kleine Anik hat mittlerweile seine Skier angezogen und greift den Bügel des Ponylifts. Diese Kinder-Bügellifte werden von den Eltern auch gerne Handschuhfresser genannt. Oben angekommen montiert Tom Schnyder an den Skispitzen eine Halterung, die die Skiführung und das Stemmen vereinfacht. Anik ist Unterschenkelamputiert und trägt eine Prothese. Amniotisches Bandsyndrom wurde bei ihm nach der Geburt diagnostiziert. Eine Missbildung der Extremitäten, welche durch die Plazenta ausgelöst wurde. Der linke Fuss fehlt ganz und die Finger der rechten Hand sind ebenfalls betroffen. «Anik ist ein aufgestelltes Kind», sagen die Eltern einstimmig. Doch ist es auch schwierig mitanzusehen, wenn er den anderen Kindern beim Rennen nicht folgen kann. Dann fragt er abends im Bett: «Mami, wenn ich erwachsen bin, habe ich dann auch normale Hände und Beine?»
An diesem Sonntag sind sie einfach Kinder, die ein Ziel haben und unbedingt selbständig Skifahren möchten. «Jonas versucht seit acht Jahren Ski zu fahren», erzählt seine Mutter. Alleine die Tatsache, dass er es immer wieder versucht, wäre eine Medaille wert. «Jetzt endlich seit dem Training bei PluSport klappt es und er kann den ‹Güngelihoger› wie Jonas ihn selber nennt, endlich verlassen.» Die Mutter sagt weiter: «Jonas gewinnt an Selbstvertrauen.» Und der Trainer ergänzt: «Er ist auch selbständiger geworden, kann den Lift alleine nehmen oder die Ski selber anziehen. Das sind wichtige Fortschritte.»
Jonas und Anik fahren an diesem Sonntagmorgen den Hang viele Male herunter, begleitet von ihren Trainer:innen, die sie individuell begleiten und das Training ihren Fähigkeiten anpassen. Jonas ist seinem grossen Ziel an diesem sonnigen Tag ein grosses Stück näher gekommen.